Aktueller Stand der im Text genannten Film- und Recordveröffentlichungen ist Juli 1997
In der der amerikanischen populären Kunstkritik taucht seit einiger Zeit der Begriff
'Angry Girls' oder 'Angry Womens' auf. Dieser Begriff ist auf die die Girlie-Bewegung und
Grunge zurückzuführen. Aber er ist dadurch auch sehr irreführend. Das liegt einerseits daran,
daß populäre Kunst in Amerika anders als in Europa rezipiert und verstanden wird wird, andererseits
beruft sich die Girlie-Bewegung mißverständlicherweise auf die Angry Womens, aber erhebt diese auch
Aufgrund des unkomplizierteren Umgangs mit Kunst zu ihren Idealen.
Ich will hier nicht näher auf Grunge
und Girlie eingehen, nur soviel sei gesagt: Grunge entsteht in Seattle am Anfang der 90'er mit dem aufkommenden
siebziger Revival. Heute wird Grunge als die zweite Punkbewegung gesehen. Grunge ist aber von vornherein
unpolitischer steht aber trotzdem unter dem Zeichen von Political Correctness der beginnenden Clinton Ära
in den USA. Man will zu den Wurzeln zurückkehren, Woodstock steht Pate. Der Markt reagiert postwendend
es gibt ein Woodstock Revival. Andererseits ist Grunge von vornherein konsequent von den technischen
Neuerungen geprägt, die daß zivile Leben nach dem Ende des kalten Krieges erreichen. Internet,
Virtual Reality, Bücher wie 'Generation X' bestimmen den Zeitgeist. Die Idee von McLuhans
globalen Dorf gewinnt wieder an enormer Bedeutung. Die freiwerdenden Kapazitäten in der
Rüstungsindustrie, kommen dem Consumermarkt zugute. Benutzerfreundliche Computersysteme kommen
auf den Markt; Microsofts Windows, Apple drängt in Consumermarkt, Intels Pentiumchip macht
Mulimediaanwendungen erschwinglich und die CD-ROM ist bis Netscapes Innovation das Multimedium
schlechthin. Aufgrund der Infrastruktur in Amerika werden die technischen Gegebenheiten auch von der
amerikanischen Subkultur "subversiv" genutzt. Andererseits liefert der Golfkrieg den Beweis des Mulimedialen
Supergaus. Hollywood gibt sich mit 'Terminator II' und 'Alien III' kritisch im Umgang mit
technologischer Innovation, nutzt diese aber auch gleichzeitig. Trotzalledem mit hoher künstlerischer Qualität (Terminator wird 1991 auf der Ars Electronica ausgezeichnet). Auf den wichtigen Film 'Jurassic Park' möchte ich an dieser nicht eingehen, da er den inhaltlichen Rahmen sprengen würde. Weitere wichtige Filme für die Grunge-Kultur sind 'Batman II', 'The Crow' und nicht zuletzt 'Natural Born Killers'. Das läßt schon ahnen wie unterschiedlich die kulturellen Einflüsse auf und von Grunge sind. Soweit zu Grungekultur. Die stirbt mit ihrem Idol, dem Nirvana Sänger Kurt Cobain, und wird mit seiner Frau und Erbin Courtney Love weiblich und nennt sich Girlie. Seit zwei Jahren kann sich jedermann Girlie bei Aldie holen: Spice Girls und TicTacToe. Die Entwicklung wird davon begünstigt, daß im eher prüden Amerika Frauen ihre Sexualität emanzipieren. Auch in den neuen Medien wie dem Internet. Oder selbst Hollywood reagiert darauf. Neuestes Beispiel dafür ist der Film 'Larry Flint' über den
gleichnamigen 'Hustler'-Verleger. Oder ein anderes Beispiel 'I shot Andy Warhol'.
Der Film über die Warhol Attentäterin Valerie Solanas. Die Girliebewegung verdankt
das nicht zuletzt ihren Idolen: Valerie Solanas, Annie Sprinkle, Cosey Funny Tutti, Lydia Lunch
und Diamanda Galas. Die Gemeinsamkeiten dieser fünf Frauen besteht darin, daß sie fest auf
dem Kunstmarkt und Unterhaltungsmarkt etabliert sind. Und wie der Wille des Schicksals es wollte haben sie vor
ihrer Künstlerlaufbahn ihr Geld als Prostituierte oder im Pornosektor verdient.
Ich will meinen besonderen Augenmerk auf Diamanda Galas legen. Sie ist, wie ich finde die am meisten mißverstandene und ernsthafteste Künstlerin. Durch ihre Ernsthaftigkeit ist sie wahrscheinlich auch für das an der 'ernsten' Kunst orientierte Europa am interessantesten. In dem Zusammenhang möchte ich auch noch auf eine andere Künstlerin verweisen, die für das Verständnis von Diamanda Galas' Arbeit nicht unwichtig scheint - Jenny Holzer. Ich werde am Ende noch auf eventuelle Zusammenhänge eingehen. Ein weitere Aspekt in der Arbeit der amerikanischen Künstlerinnen ist die gesellschaftlich und politisch engagierte Arbeit. Dies ist auch ein Faktor, wo sich die europäische von der amerikanischen Kunstszene unterscheidet. In Europa finden wir es höchst selten, wenn Künstler, die nicht aus dem U-Sektor kommen, sich und ihre Arbeit in den Dienst von gesellschaftlichen und politischen Engagement stellen.
Biografie:
Das Geburtsdatum ist nicht genau bekannt, ich schätze (und auch die Presse datiert) auf Ende der fünfziger Jahre, wenn man ihre Biografie mit ähnlichen Künstlern und ihren Laufbahnen vergleicht. Sie ist in Griechenland in einer orthodoxen Familie geboren wurden. Aufgrund der Politischen Verhältnissse wandert die Familie in die USA aus. Sie wächst in San Diego auf und bekommt von ihrem Vater der einen Kirchenchor leitet frühzeitig Klavierunterricht. Der Vater verbietet seiner Tochter das Singen, weil er Sänger für Verrückte hält. Die musikalische Ausbildung ist breit gefächert und reicht von Beethoven, Brahms über Fats Waller bis hin zu arabischer und Griechisch Orthodoxer Musik. Ihre ersten musikalischen Auftritte datiert Diamanda Galas auf das Alter von vierzehn Jahren. Sie studiert Musik und Visual-Art-Performance an der University of California. Doch vor ihrem Studium gibt sie 1988 in einem Interview zu Protokoll befand sie sich als Teenager auf der "Wild Side". "Before that I'd worked on the street.' Weiter: 'taken every kind of drug. When I worked down the street I was known as Miss Zina, drag queen. I worked with a bunch of drag queens in Oakland. I got out of it because I realised I was probably a better piano player than I was capable of being a good criminal. I don't see one as being better than the other. I think I've found a successful interface between the two...'. Ihre erste Arbeit ist eine Performance auf dem Festival d'Avignion in Frankreich 1979. Der Komponist Vinko Globokar hört die Aufnahmen und sie wird die erste Stimme in seiner Oper 'Un Jour Comme Un Autre' singen. Die Oper basiert auf einer Amnesty International Dokumentation über inhaftierte türkische Frauen. Diamanda Galas über ihre Arbeit: "The kind of stuff I do with my voice really did come out of the blue," she would later explain. "People have assumed I was an opera singer who then decided to move into the avantgarde. But I developed the opera technique, with a teacher, because I wanted to have a gigantic expression, and opera technique had those possibilities for my work." In dieser Zeit entwickelt sie auch ihre 3 1/2 Oktaven-Stimme zu dieser Ausdruckskraft die das Markenzeichen ihrer Arbeit ist.
In den Siebzigern kommt es auch zu gemeinsamen Aktivitäten mit Pierre Boulez und Iannis Xenakis. Zu denen es aber, zumindest meines Wissens nach, keine Veröffentlichungen gibt.
Nach dem Projekt mit Globokar kehrt sie nach Paris zurück und erarbeitet zwei Solostücke: 'Wild Women With Steak Knives' und 'Tragouthia apo to Aima Exon Fonos' (Song from the Blood of those Murdered), die im Theater Gerard Phillipe Saint-Dennis und der Leitung von Rene Gonzales aufgeführt werden. 'Wild Women With Steak Knives' beschäftigt sich mit den Charakter der 'schlechten Frau' in den Strassen eines amerikanischen Ghettos. Diese Stück ist auch stark autobiografisch geprägt, durch ihre zeit als Prostituierte. 'Tragouthia apo to Aima Exon Fonos' ist den Opfern der griechischen Militärjunta zwischen 1967 -74 gewidmet. Es folgt eine Tournee zu verschiedenen europäischen Festivals wie Donaueschingen, Bieniale de Paris, Musica Oggi und Festivale de la Voce. Die erste Schallplattenaufnahme erscheint 1982 in französischer Sprache und basiert auf einen Text Charles Baudelaires "Litanies of Satan". Sie erkärt dazu: "I like Baudelaire and the Bible because they share a liturgical quality - it's the difference between merely desiring to speak and the need to speak, to unburden yourself." Ihre nächste Arbeit 'Panoptikum' basiert auf einem Entwurf eines Hochsichertsgefängnisses von Jeremy Bentham, geschrieben aus der Sicht eines Inhaftierten. In diese Arbeit flossen die Gefängnissbriefe Jack Henry Abbots mit ein die der amerikanische Schriftsteller Norman Mailer unter dem Titel 'In The Belly Of The Beast' veröffentlichte.
1984 beginnt Diamanda Galas mit der Arbeit an ihrem Tryptychon 'Masque Of The Red Death' in San Francisco. Die Wahl des Ortes ist kein Zufall, San Francisco ist die Stadt mit den meisten AIDS infizierten Amerikas. Der erste Part dieses Tryptychons 'The Divine Punishment' setzt sich ironisch mit dem Umgang Amerikas mit AIDS auseinander. Der Text basiert auf den Psalmen des ersten Testaments. Drei Monate später folgt das zweite Album mit dem Titel 'Saint Of The Pit' welches ihrem Verstorbenen Bruder gewidmet ist. Ihr Bruder der Drehbuchautor und Lyriker Phillip Dimitry Galas verstirbt während der Arbeiten zu diesem Album in ihrem Armen an AIDS. Die Texte für dieses Album stammen von Baudelaire, Nerval und Corbiere. Nach dem Tod ihres Bruders siedelt Diamanda Galas nach Berlin um und führt dort ihre Arbeit weiter. In Berlin folgen Gemeinschaftsprojekte mit dem Einstürzende Neubauten Mitglied FM Einheit und dem Jazz-Noize Gitarristen Caspar Brötzmann. Mit FM Einheit enstehen auch Soundperformances auf der Ars Electronica, und Beiträge zum Album 'Hymnen' auf dem internationale Musiker und Komponisten Alternativen zur deutschen Nationalhymne veröffentlichen. Komplettiert wird das Tryptychon mit dem Album 'You Must Be Certain Of The Devil'. Dieses basiert auf afroamerikanischen Gospelstandarts, von Billy Hollidays 'Strange Fruit', Nina Simons 'Four Women' und 'Let my People go' Sie kommentiert zu diesem Album: 'The paradox is, that gospel music was once the music of the black slaves, used for prayer and in desperation by people who were threatened by death. So it can express the fears and needs of victims as well as persecutors, just as the Old Testament language which I used on the earlier albums can be a tool of bigots but can also be an eloquent language of despair.'
Am Neujahrsfest 1989 beginnt in der Londoner Queen Elisabeth Hall die Performance Welttournee. Parallel dazu erscheint bei Mute Records das Tryptychon als Dreifach CD-Album unter dem Titel 'Masque Of The Red Death'. Unterbrochen wird die Tournee kurz weil sie während der ACT UP Demonstration in der New Yorker St Patricks Cathetral auf betreiben der Kirche verhaftet wird. Diamanda Galas beginnt sich verstärkt für den Kampf gegen AIDS einzusetzen. Ihre Arbeit setzt sich vordergründig mit dem Neuen Testament aus einander. Der vergleich der Apostel mit den neuen Heiligen, den AIDS-Infizierten New Yorks, bestimmt den Inhalt ihrer folgenden Arbeiten. Neue musikalische Einflüsse, wie Gospel und schwarze Musik, fließen in ihr Werk ein. Dies hat auch zur Folge, daß ihre Arbeit auch von einer breiteren Masse wahrgenommen wird und ihre Performances in einem größeren Rahmen stattfinden. Im Oktober 1990 performed sie ihre 'Plague Mass' in der Cathedral Saint John the Divine in New York. Es ist die zweitgrößte Kathetrale der Welt. Offizieller Veranstalter ist die AIDS-Hilfe. Die Performance ist im selben Jahr auch offizieller Bestandteil der International AIDS Conference in San Francisco. Die folgende Tournee führt sie als Teil der Coalition for the Freedom of Expression von den Olympischen Spielen in Barcelona über Berlin, das Helsinki Festival und das Festival delle Colline in Italien. In Italien wird sie von der italienischen Regierung wegen blaphemischer äusserungen gegenüber der Katholischen Kirche angeklagt. Die Galas sagt 1992 dazu: 'That was really gigantic, It still remains. We're going back to Italy after three or four years. The head of my record company asked me to go have a fucking bodyguard. It's because we always see the press, and there's 40 scandal sheets in national news. Pictures of the District Commissioner discussing 'La Scandale Galás'...not even pictures of me, pictures of him in the building, as if someone had been murdered there." The full live performance from Saint John The Divine was captured on the 1991 Mute album 'Plague Mass', aptly described in Select as, "Lyrically and musically this is one of the most uncompromising albums ever made.'
Wichtig für die Bandbreite ihres Werks ist auch die Arbeit am Soundtrack zu Coppolas Film 'Dracula'. Auf den ersten Blick erscheint dieser Film als barockes Kostümspektakel, aber die Qualtäten dieses Film sind in seiner Ikonografie versteckt. 'Dracula' ist eine Metapher von Sex im Zeitalter von AIDS. Genauer Sex und AIDS in den Neunzigern. Die Angst schwindet, es geht um den Kitzel der Lust zu erliegen und zu Hoffen nicht infiziert zu werden. Diamanda Galas liefert zu diesen Film Stücke iher 'Saint of the Pit' Performance.
Im Februar 1992 wird die Performance 'Vena Cava' in The Kitchen in New York vorgestellt. 'Vena Cava' ist intimer als das grosse Werk 'Plague Mass' In dieser Arbeit wird die Zerstörung des Bewußtseins durch die Zustände auf AIDS Stationen in den Krankenhäusern angesprochen. Die Ford Foundation honoriert 'Vena Cava' wegen Inhalt und Komposition mit einem Award. Im selben Jahr erscheint das vielleicht bis dahin hörbarste Album der Galas, schlicht und einfach betitelt mit 'The Singer'. Es ist sehr stark Gospel und Blues orientiert und weisst jazzige Einflüsse auf. Die Titel 'Gloomy Sunday' und die Cover-Version Screamin' Jay Hawkins' 'I Put Spell On You' werden später in den Soundtrack zu 'Natural Born Killers' aufgenommen. Sie erklärt: 'This was material I grew up with, I played since I was 13 with my father's New Orleans-style band. I used to play piano with a black gospel choir. I'd worked on 'The Singer' for a long time, but I wasn't able to record it before because it was important to finish 'The Plague Mass'. This material is dear to me in a different way than 'Plague Mass'. It deals with the same topics I've dealt with myself - isolation, solitary confinement, extreme emotionalism. Gospel music is music for keeping people alive in the face of despair." 1993 erscheint auf Mute Records das Video 'Judgement Day' mit Live-Sequenzen der 'The Singer' Performance.
In der Zwischenzeit wird das 'Serious Fun Festival' im Lincoln Center mit dem Drama 'Insekta' von Diamanda Galas eröffnet. Danach schliesst sich eine Tournee durch Amerika und Europa an. Im September 1993 erscheint 'Vena Cava' als Release. Die Aufnahmen des Releases basieren auf der Arbeit ihres Bruders, Philipp Dimitri Galas. Diese Veröffentlichung gilt als das persönlichste Werk von Diamanda Galas: 'I can't dilute it because AIDS is not a nightmare. It's a nightmare made flesh. It's a nightmare that's here to stay. It's a nightmare that people are waking up to every morning.'
Der Februar 1994 offenbart die musikalische überraschung des Jahres. Ihre Plattenfirma kündigt die Zusammenarbeit mit 'Led Zeppelin' Bassist John Paul Jones und 'Attraktions' Drummer Pete Thomas an. Das Album wird 'The Sporting Live' heissen und von Mute im September veröffentlicht werden. Dieses Album wird die Brücke schlagen von den Siebzigern in die Neunziger. Musikalisch rangiert der Stil zwischen melodramatischen griechischen Klängen über Funk und Soul bis hin zu Anleihen von Snoop Doggy Dog.
Das letzte Album zu ihrer Performance nennt sich 'Schrei X' und basiert auf dem Radio Hörspiel 'Schrei 27' welches aus dem Jahre 1994 stammt. Musikalisch werden extreme high energie Vocals mit absoluter stille kombiniert. Die Texte stammen von ihr selbst und von Thomas von Aquinas. Inhaltlich setzt sich das Stück mit biologischer und mechanischer Gehirnmanipulation auseinander. Ein Titel der Performance ist der ersten Massenmörderin Amerikas, Irene
Warnos (Iron Lady) gewidmet. Es ist auch eine Auseinandersetzung mit Todesstrafe und elektrischen Stuhl. Die neue Performance heißt 'Malediction and the Prayer' und hatte am 14 Oktober 1996 in der Londoner Royal Festival Hall Premiere.
Durch die Nutzung von Texten Baudelaires, Pasolinis, Mixco's bis hin zu Johnny Cash und Phil Ochs will sie
größere Akzeptanz und mehr Verständnis beim Zuhörer erreichen. Im Herbst 1997 erscheint in
London ihr erstes Buch: 'The Shit Of God'. Es ist als eine Art literarischer Chronik ihrer Arbeit in den
letzten zehn Jahren zu verstehen.
©: Bernhard Schipper 1997