GALERIE SCHIPPER im INTERDRUCK
Presse: Spiegel-Online (Deutschlandreise) :: 30. 11. 2002
Arbeit am Grundriss

In der Galerie Inter Druck treffen wir Leipziger, die im eher unbeliebten Osten der Stadt mit ihrer kleinen Galerie alternative Kunst promoten. Und erfahren, dass Baubetrüger Jürgen Schneider hier ein Lokalheld ist

Der Dicke telefoniert schon wieder wichtig. Während sein Kompagnon mit Handschuh ambitioniert puttet, legt der Dicke auf und spielt seinen Golfball mit Eroberergeste. Wir schlagen unsere Bälle auf der Driving Range und versuchen die Männer auf dem Grün hinter uns zu ignorieren.

Das fällt jedoch schwer, weil der Dicke schon wieder irgendeinen Witz macht und dann zum Trainer wissend sagt: „So sind halt die Regeln.“ Was er meint, verstehen wir nicht. Kaum zu übersehen ist aber, dass sich der Dicke, der vielleicht Bauunternehmer ist, vielleicht auch Saturn Hansa-Filialleiter, auf diesem Golfplatz am Leipziger Stadtrand gerade seine Platzreife abholen will. Nicht die fürs Green, sondern eine Platzreife fürs Parkett des gehobenen Lebensstils. Sein Lachen klingt jedoch eher nach Bauwagen.

Wir trotten nach dem Früh-Golfen zerzaust und ungewaschen zurück zu unseren Bussen, die wir in der Nacht am Cospudner See geparkt haben. Surfer sehen wir hier gerade nicht (Gruß an Franziska aus dem Forum), dafür lässt jemand einen Kite-Schirm steigen. St.Peter-Ording, wie lang ist’s her. Doch für Sentimentalität ist keine Zeit. Wir telefonieren mit dem Leipziger Plattenpresswerk, die wir auf Forumsvorschlag besuchen wollen. Die Jungs sind aber nicht interessiert an Medienaufmerksamkeit. Der zweite gute Vorschlag für Leipzig ist die Galerie Inter Druck, und die will sich auch mit uns treffen.

Unterwegs durch Leipzig, das wir in der gestrigen Nacht schon durchstreift haben nach dem Upload: grottige Flirt-Party, danach auf der Straße Roland getroffen, der nicht mehr ganz in Topform war, ihn eingeladen, zusammen ins Flower Power, das genauso aussieht wie es heißt, um Fünf kapituliert und zum Schlafen rausgefahren - der Gedanke an die Nacht lässt einen ruckelnden Film starten. Jetzt tagsüber sieht der 1997 renovierte und ausgebaute Bahnhof, der größte Europas, noch immer imposant aus, das Bundesverwaltungsgericht ist nicht weniger beeindruckend. Dazwischen eine Menge Neubauten. Das Stadtbild wird Leipzigs Ruf als Boomtown gerecht.

Ein Gewerbehof im Osten der Stadt: Durch eine der unscheinbaren Türen geht es zu Inter Druck. Im ersten Stock probt gerade eine Band, hinter der Brandschutztür zum Nebenraum trifft deutschlandReise Bernhard Schipper. Der 32-Jährige ist einer der beiden Galerie-Gründer und bereitet mit Künstlerin Maja Franke die nächste Ausstellung vor. Die 26-Jährige Leipzigerin hat ihren eindreiviertel Jahre alten Sohn Luca mitgebracht, der begeistert seinen Moderatoren-Qualitäten vor der Kamera zeigt. Maja wird ab kommenden Freitag einen Monat lang ihre Arbeiten präsentieren und erklärt uns: "Ich male Grundrisse. (Pause) Ich liebe Grundrisse. (Pause) Ich male Grundrisse." Eigentlich sah sie ganz normal aus.

Die manchmal nur wenige Zentimeter großen Grundrisse sind fiktiv, erklärt uns Maja, und zeigen ideale Wohnsituationen für allein erziehende Mütter: vorne Veranda, im hinteren Teil Garten mit Kräutern, Schaukel und Sandkasten, Zimmer mit Parkett, geflieste Küche. "Ich male seit 15 Jahren Grundrisse, zum Beispiel beim Fernsehen die Grundrisse der Häuser in den Filmen, das ist beruhigend", erzählt uns Maja. Es fasziniere sie, das zum Beispiel in einem Hochhaus, also in einem Stapel gleicher Grundrisse, vollkommen unterschiedliche Lebensumstände gelebt würden. "Ich habe Grundrisse für ältere Leute, mehrere Generationen unter einem Dach, Ausländer mit viel Geld, mit wenig Geld … (sie zählt zehn weitere Bewohnergruppen auf) … Habe ich was vergessen? Nein." Sie zeichnete eigentlich nur für sich, doch Bernhard von Inter Druck habe gesagt: "Das ist Kunst." Also ab an die Wand.

"Wir kommen eigentlich von der Clubschiene und haben durch unser Kunststudium das Ausstellungen machen entdeckt", erklärt uns Bernhard Schipper. Das Konzept von Inter Druck sei es, außerhalb des klassischen Kunstbetriebes zu arbeiten und Dinge wie Graffiti, Tätowierungen oder eben Grundrisse zu zeigen. "Deshalb sind wir auch ins Ghetto hier im Ostteil von Leipzig gegangen, wegen der Credibility", sagt Bernhard. Angezogen hat diese Umgebung auch das Plattenpresswerk im Keller (zufällig genau das von heute Morgen), ein Musikstudio und Künstler, die ihre Ateliers im Haus eingerichtet haben.

Wir hatten angenommen, dass nach dem Bauboom in Leipzig kaum mehr Nischen im Stadtplan für nichtkommerzielle Projekte frei sind. Ganz im Gegenteil, erklärt uns Bernhard, der in Bautzen geboren wurde und in Leipzig hängen geblieben ist: "Leipzig ist die Stadt im Osten, wo am meisten geht, was Underground-Kunst, alternative Kunst oder Clubprojekte angeht. Leipzig hat die besten Möglichkeiten. Viele Räume stehen leer, auch die sanierten, und die Mietpreise sind im Keller. Früher war das eine hässliche Industriestadt, aber heute ist das die attraktivste Stadt Ost-Deutschlands."

Zu verdanken habe das die Stadt kurioserweise zu einem guten Teil dem Baulöwen und Bankrotteur Jürgen Schneider. Der habe mit dem Geld großer Banken zahlreiche alte Gebäude vor dem Abriss gerettet und die Kunst gefördert – zum Leidwesen der Banken, die ihre Kredite nicht wiedersahen. Aber ein Glücksfall für die Bewohner der Stadt, wie Bernhard uns erklärt: "Schneider ist hier ein Volksheld." Ein Denkmal für ihn sei "nur eine Frage der Zeit".

Und dann fragen wir noch, warum in Leipzig eigentlich so hübsche Mädchen leben. Der Abend gestern hat bleibende Wirkung hinterlassen. "Das ist wohl der Willen zur Metropole, da machen sie sich schick", sagt Bernhard lachend. Er weiß, was wir meinen. Während wir im Auto arbeiten, läuft im Radio ein Hörspiel, in dem eine Frau sagt: "Na los, ran jetzt." Und ein Mann antwortet: "Nein, davon bekommt man Ausschlag." Und sie: "Nein, also ran jetzt." Die Mädchen gestern Abend, das riesige Eros Center direkt an der Ortseinfahrt, vier Wochen unter Männern – bei einem von uns ist jetzt Land unter.

Die 0190-Flirtline spuckt die Telefonnummer einer anbandelungsbereiten Leipzigerin aus, die prompt angerufen wird. Die junge Frau erzählt unserem Deutschlandreisenden, sie hätte schon Lust auf ein Treffen, er könne ja mal vorbeikommen, "zum Vorspiel und so". Sie säße gerade nur im Tanga am Telefon. Sie müsse aber dazusagen, dass sie nach ihrer Schwangerschaft ein kleines Gewichtsproblem habe und deutlich sichtbare Schwangerschaftsstreifen über dem Tanga. Wenn die anderen mitkommen wollten, sagt sie unserem Kollegen, kein Problem, es gäbe da noch ihre Nachbarin: "Die hat zwar einen Freund, aber das sieht sie nicht so eng." Unser Telefonierer ist jetzt komplett verwirrt. Wir packen den Mann ein und fahren doch lieber weiter.

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